48 Millionen Euro hinterzogen? Prozess­auftakt gegen Glücksspiel-Clan in Hagen

Posted on: 28/05/2019, 01:37h. 

Last updated on: 28/05/2019, 04:02h.

Seit gestern müssen sich im nordrhein-westf?lischen Hagen drei Spielhallenbetreiber vor Gericht verantworten. Den Mitgliedern einer türkisch-kurdischen Gro?familie wird vorgeworfen, mithilfe manipulierter Software über Jahre hinweg 48,4 Millionen Euro an Steuern und Abgaben am Staat vorbeigeschleust zu haben. Die Verteidigung wehrt sich mit Antr?gen.

Spielautomaten Nahaufnahme
Die Angeklagten sollen mit manipulierter Software in Spielautomaten Millionen hinterzogen haben (Quelle:pixabay.com/kaisender)

Mammutprozess bis 2020

Der gestern gestartete Prozess um Steuer- und Abgabenhinterziehung und gewerbsm??ige Manipulation von technischen Aufzeichnungen konfrontiert das Landgericht Hagen mit einer Mammutaufgabe:

58 Prozesstage setzten die Richter der Wirtschaftsstrafkammer an, das Urteil soll voraussichtlich am 30. Januar 2020 fallen.

Die Anklage wirft den drei Angeklagten im Alter von 39, 43 und 50 Jahren vor, eine Manipulationssoftware in von ihrer Gro?familie betriebenen Spielhallen in diversen St?dten Nordrhein-Westfalens eingesetzt zu haben.

Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sollen Standorte in Hagen, Datteln, Duisburg, Dortmund, Hattingen, Hilden, Holzwickede, Langenfeld, Meinerzhagen und Menden von den Manipulationen betroffen gewesen sein. Alle Spielhallen befanden oder befinden sich im Besitz des Hauptangeklagten oder seiner weitreichenden Verwandtschaft.

Software manipulierte automatisierte Aufzeichnungen

Durch die Manipulation automatisierter Aufzeichnungen der Geldspielger?te sei es den M?nnern gelungen, so der Vorwurf, die wirklichen Einnahmen ihrer Betriebe vor den Beh?rden massiv kleinzurechnen.

So soll es ihnen m?glich gewesen sein, Gewerbesteuern, Kapitalertragssteuern, Einkommensteuern, Umsatzsteuern und kommunale Abgaben zu hinterziehen. Zwischen dem 31. Dezember 2008 und dem 18.September 2018 soll so ein Schaden in H?he von insgesamt 48,8 Millionen Euro entstanden sein.

Im September 2018 hatte eine konzertierte Aktion der Strafermittler gegen den Casino-Clan bundesweit für spektakul?re Bilder gesorgt: Bei Razzien in mehreren St?dten Nordrhein-Westfalens hatten die Ermittler tonnenschweres Münzgeld aus den Spielhallen der Gro?familie abtransportiert.

Besonderes Aufsehen erregte eine Vielzahl konfiszierter Luxuswagen. Darunter auch ein Lamborghini, dessen Neupreis bereits in der Grundausstattung die 300.000 Euro-Marke übersteigt.

Lamborghini Aventador
Auch ein Lamborghini Aventador war unter den konfiszierten Fahrzeugen (Symbolbild, Quelle:Alexander Migl, licensed under CC BY-SA 4.0)

Derzeit werden die Fahrzeuge aus dem Luxussegment im Auftrag des Finanzamtes Hagen vom Zoll versteigert.

Ein Mann, 743 Anklagepunkte

Laut 99-seitiger Anklageschrift sollen die Mittel für die aufwendige Lebensführung der Beschuldigten zumindest teilweise aus illegalen Aktivit?ten stammen. Allein dem 43-j?hrigen mutma?lichen Hauptt?ter werden 743 Straftaten zur Last gelegt:

So soll er in 459 F?llen Abgabenhinterziehung betrieben haben und in 193, gr??tenteils schwere, Steuerhinterziehung. Weiterhin soll sich der Mann 91-mal der gewerbsm??igen F?lschung technischer Aufzeichnungen schuldig gemacht haben.

Gemeinsam mit seinem mitangeklagten 39-j?hrigen Bruder soll er zudem 184 weitere Straftaten ?hnlicher Art begangenen haben. Diese allein sollen einen Schaden von 43,5 Millionen Euro nach sich gezogen haben.

Dem jüngeren der Brüder allein werden weitere 79 einschl?gige Anklagepunkte zur Last gelegt. Der dritte Mitangeklagte steht wegen insgesamt 272 einzelner Straftatbest?nde vor Gericht. Auch bei ihm geht es um die Delikte der F?lschung, Steuer- und Abgabenhinterziehung.

U-Haft gegen Menschenrechtskonvention?

Hagen, Deutschlandkarte
Besonders aktiv sollen die Angeklagten im nordrhein-westf?lischen Hagen gewesen sein (Quelle:Google Maps)

W?hrend seine beiden mutma?lichen Komplizen sich derzeit auf Kaution auf freiem Fu? bewegen, befindet sich der mutma?liche Hauptt?ter bereits seit seiner Festnahme vor acht Monaten in Untersuchungshaft.

Bei einem Haftprüfungstermin hatte das Oberlandesgericht Hamm erkl?rt, die im Normalfall auf ein halbes Jahr begrenzte Unterbringung in der U-Haft aufgrund des dringenden Tatverdachts des Angeklagten auszuweiten.

Sein Verteidiger, Ullrich Sommer, ist anderer Auffassung:

Sein Mandant müsse mit Verweis auf die Europ?ische Menschenrechtskonvention umgehend freigelassen werden. Zudem stehe ihm eine Entsch?digung zu, forderte der Jurist gestern vor Gericht.

Befangene Richter, illegale Ermittlungen?

über den Antrag Sommers entschied die Wirtschaftskammer bislang ebenso wenig, wie über die Forderung zweier weiterer Verteidiger, den Prozess bis auf Weiteres auszusetzen.

Ihnen seien die Originaldateien des Hauptbeweismittels, eines bei einem der Angeklagten gefundenen Datentr?gers, erst kurz vor Prozessbeginn zugegangen. Somit sei eine ordentliche Analyse der Beweiskraft bislang nicht m?glich gewesen, so die Anw?lte.

Zudem sei nicht auszuschlie?en, dass es zwischen der Beschlagnahmung und der Auswertung durch Sachverst?ndige unbefugten Zugriff auf das Beweismittel gegeben haben k?nne.

Das fragliche Netbook hatte sich im Besitz des 50-j?hrigen Beschuldigten befunden und den Ermittlern nach der Beschlagnahmung im Jahr 2016 erste Hinweise auf das mutma?lich kriminelle Gesch?ftsmodell der Angeklagten gegeben.

Ebenfalls in der Kritik der Verteidiger: Ein mutma?lich befangener Richter und ein angeblich im Zuge der Ermittlungen illegal eingesetzter V-Mann. Diesbezügliche Vorwürfe werden wohl im Rahmen der Hauptverhandlung zu kl?ren sein.

Was genau das Verfahren, dessen n?chster Termin für den 11. Juni angesetzt ist, bringen wird, darf mit Spannung erwartet werden.